Michael Röttger - Li Wang

20.03.2019

Charaktere aus der Zukunftsreihe "Gefangen im Zeitparadox" - im Jahr 2153, Planet Erde, Hauptstadt Towns of Planets - nach der erfolgreichen Rettungsmission in der Offiziersmesse der Raumakademie

Michael Röttger, bereits mit 35 Jahren Admiral und Oberkommandierender der Raumschiffflotte der USOP (UNITED STATES OF PLANETS) und Commander der SOLARIS, dem gerade in Dienst gestellten Flaggschiff der USOP, hielt sich bereits seit einer halben Stunde in der Empfangshalle der Offiziersmesse auf. Er hatte ein Date mit Li Wang um 19.00, war aber schon früher erschienen. Bei einer Tasse Tee dachte er über die vergangene Zeit auf der EXTREMUS 1 nach. Wang war ein Crewmitglied, eine 30-jährige Chinesin mit dem Fachgebiet Planetares Terraforming. In der letzten Mission wurden er und seine Crew durch einen missglückten Test auf der EXTREMUS 1 in das 19. Jahrhundert nach Texas verschlagen – und nicht lange danach erfreulicherweise gerettet.
Röttger hatte sich von Anfang an zu ihr hingezogen gefühlt, aber bisher entschieden, sich zurückzuhalten. Also, was hatte ihn eigentlich dazu veranlasst, sie so spontan um ein Rendezvous zu bitten?
Im Grunde wusste er es nicht so genau, dachte er bei sich. Vielleicht war es die Mission gewesen, von der sie nicht wussten, ob sie jemals zurückkehren würden. Und dann hatte er von ihr geträumt, in der ersten Nacht ihres Rückflugs durch die Zeit. Er hatte sich selbst als Oberkommandierender in der Zentrale des neuen Raumschiffs, der SOLARIS, stehen sehen. "Auf zu den Sternen", hatte er gesagt. Dabei stand er dort Hand in Hand mit Li Wang, die ihm strahlend zulächelte. Ein sehr schöner Traum. Vielleicht hatte ihn das ermutigt? Er sah auf die Uhr. Eigentlich müsste sie jede Minute erscheinen.
Als sie hereinkam, betrachtete Röttger sie mit angehaltenem Atem. Das schwarze, enganliegende Kleid, das eine Schulter verlockend freiließ, betonte ihre gute Figur. Sie strahlte eine schlichte Eleganz aus und ihr dunkles Haar, das sie sonst hochgesteckt trug, fiel ihr jetzt weich auf die Schulter. Sie war eine attraktive Frau mit feinen Gesichtszügen und tiefgründigen, braunen Augen.

Li Wang betrat die Empfangshalle und entdeckte ihn sofort. Michael Röttger hatte immer schon gefallen. Seine Ruhe und seine nicht zur Schau getragene Selbstsicherheit hatten ihr in der letzten Mission das Gefühl gegeben, gut aufgehoben in eine ungewisse Zukunft zu reisen, egal, was passieren würde. Aber bisher hatte er so gar keine Anstalten gemacht, sich ihr zu nähern - was sich gerade geändert hatte.
Eigenartigerweise wunderte sie sich nicht darüber. In der Nacht nach ihrer Rettung hatte sie einen sehr intensiven, wunderbaren Traum gehabt. Wilde Pferde waren darin vorgekommen, ein starkes Gefühl von unbändiger Freiheit, ein knisterndes Lagerfeuer mit einem kauzigen Cowboy, der sie mit seinen graublauen Augen anlächelte. Aber dann waren es Michaels Augen gewesen, der ihr warm und einladend die Hände entgegenstreckte.
Wang hatte lange darüber nachgedacht. Sie wurden bereits knapp 2 Tage, nachdem sie in Texas gelandet waren, aus der Vergangenheit wieder abgeholt. Aber die SOLARIS startete zu ihrer Rettung in der Zeit des Jahres 2153 erst gute fünf Monate später. Konnte es nicht doch sein, dass sie dort doch länger gelebt hatten als angenommen? Niemand hatte eine Erinnerung daran, was logisch war – es gab nur diesen Traum. Und da war noch ein klein wenig mehr. Dieser Moment nach der Verabredung, als sie sich angesehen hatten. Es hatte etwas in der Luft gelegen, was sie nicht ausmachen konnte. Eine eigenartige, besondere Vertrautheit zwischen ihnen … fast magisch, dachte sie, während sie eine kleine Gänsehaut bekam.
Als Röttger sich lächelnd erhob, tauchte erneut das Gefühl auf, dass etwas seine Schatten vorauswarf und ohne nachzudenken, streckte sie ihm unter dem Eindruck des Augenblicks die Hände entgegen.

Michael Röttger spürte eine warme, tiefe Freude in sich aufsteigen, als er sie mit leuchtenden Augen auf sich zukommen sah. Ein Gefühl von Déjà-vu ergriff ihn und als sie ihre Hände hob, schien es nur natürlich, sie sanft an sich ziehen. Beglückt hielt er sie im Arm und als Li ihn glücklich anstrahlte, war ein Kuss die ersehnte Vollendung.
Alles um sich herum vergessend in der Süße dieses Augenblicks standen sie eine ganze Weile in der Empfangshalle, bis sie allmählich wieder wahrnahmen, wo sie sich befanden.
"Hm, ich habe uns einen Tisch bestellt. Hast du ein wenig Appetit?", meinte Röttger lächelnd, als sie sich voneinander gelöst hatten. Arm in Arm betraten sie die Messe und ließen sich nieder. Er wurde von einigen Anwesenden freundlich begrüßt und beide spürten, wie sich alle Augenpaare auf sie richteten.
Nachdem das Essen bestellt war, hielten sie sich an der Hand und hatten nur noch Augen füreinander. Röttger gestand ihr, dass er schon zu Beginn der letzten Mission Gefühle für sie gehabt hatte, aber sie war ihm so unnahbar erschienen und daher hatte er gedacht ...
Staunend unterbrach ihn Wang, um ihm ihrerseits zu erzählen, dass sie sich eine Aufmerksamkeit von ihm nur gewünscht hätte. Zu guter Letzt kam zutage, dass jeder zuvor voneinander geträumt hatte. Und als sie ihre Vermutung äußerte, hatte er sie überrascht angesehen.
"Nun, was denkst du darüber?"
Röttger meinte nachdenklich: "Lass uns mal zusammenfassen. Am 15. März 2153 begann das Desaster und wir wurden in das Wurmloch geschleudert. Nach dem Sprung durch die Zeit waren wir am 5. April in der Mondumlaufbahn und am 7. April landeten wir mit der EXTREMUS 2 in Texas ... "
"... und am 30. Sept 2153, 12.00 UTC, startete Admiral Liu mit einer Zeitreise zu unserer Rettung", ergänzte Wang und sah ihn bedeutungsvoll an. "Ich meine, auch wenn die SOLARIS durch die Zeit rückwärts reiste und uns am 7. April abholte …"
"... könnten wir, in jener Zeit des Wilden Westens, zwischen dem 7. April und dem 30. September, jede Menge erlebt haben ", stellte Röttger zustimmend fest.
Eine Zeitlang schwiegen beide, ihren Gedanken nachhängend.
"Ich erinnere wirklich mich an nichts", meinte Wang dann, "der einzige Hinweis ist mein Traum. Pferde, ein Rabe und ein Cowboy am Lagerfeuer."
Sie lachte und wurde dann wieder nachdenklich, seine Hand ergreifend: "Und dann warst du da, Michael ... und dieses starke Gefühl der Vertrautheit zwischen uns. Es hat mich nicht gewundert, als du auf mich zukamst. Selbst vorhin in der Halle war es so, als wollte ich nichts anderes, als dir sehnsüchtig entgegenzugehen."
Weich erwiderte Röttger: "Es ging mir genauso, Li. Waren wir ein Paar, in jener Zeit? Wir werden es wohl nie erfahren."
Sie bezahlten und gingen auf die Terrasse, um die die Skyline der Regierungshauptstadt des Planetenbundes, der Towns of Planets, an diesem schönen Septemberabend zu genießen. Li wandte sich ihm wieder verlangend zu und als die Küsse immer leidenschaftlicher wurden und sie ihm verheißungsvoll zuflüsterte, ob sie zu ihr fahren würden, stimmte er nur zu gerne zu.

Während der anschließenden Fahrt zu ihr in autonom fahrenden Autos, die dank den magnetischen Fahrbahnen über dem Boden schwebten, hielt Röttger sie ergriffen im Arm, dankbar für diesen Anstoß aus einer vergangenen Zeit. Hätte er sich ohne diesen Widerhall aufgerafft? Vielleicht, aber vermutlich erst sehr viel später, machte er sich klar. Allerdings wäre es dann möglich gewesen, dass sie sich längst für einen anderen Partner entschieden hatte.
Was auch immer dort passiert war in jenen Monaten im Wilden Westen, es hatte sie zueinander geführt und ihre Gefühle hatten anscheinend ein zeitloses Echo geworfen.

In den nächsten Tagen befragten sie die anderen MItglieder, Andrey Pawlow, Finn Schwarz und Marcel Durrand, die auch bei der Mission dabei gewesen waren. Aber die konnten nichts vermelden. Sie diskutierten das Phänomen als kleine Gruppe untereinander und hielten fest, dass sie beide als einzige Wahrnehmungen gehabt hatten, die wohl in ihrer starken, persönlichen Zuneigung begründet lagen. Röttger entschied, diese Information an die KI GOLEM weiterzugeben. Obwohl die Entscheidung getroffen worden war, in den nächsten 300 Jahren keine Zeitreisen mehr zu unternehmen, konnte diese Erfahrung vielleicht irgendwann einmal wieder von Nutzen sein.


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