Auf dem Flaggschiff der Atlanter

23.09.2020

Figuren in den Büchern "Golem und Das verborgene Imperium" und dem Folge-Thriller "Die Welt der Schöpfer" 

Andromeda Nebel, Planet Last Hope im Jahr 10.003 

Der Chef der Nachrichtenagentur Last Hope Sunrise im Andromeda Nebel, Luigi Capelli, hatte Maya Shan kommen lassen, um sie darüber zu informieren, dass Poseidon, der Machthaber von Atlas in der Zwerggalaxie, speziell sie und niemanden sonst angefordert hatte.

"Ich weiß nicht, wie Sie das geschafft haben", dabei musterte er sie neugierig, während sie ihm schweigend zuhörte, "aber die Atlanter sind offenbar von Ihnen sehr angetan. Morgen werden Sie von einem Raumshuttle abgeholt, das Sie zum Flaggschiff befördert. Sie werden mit Poseidon zum Neptun fliegen und dort auf seinem Schiff am Manöver teilnehmen. Allerdings ..." Capelli hielt inne und sein Gesicht wurde ernst: "Es ist so, dass die Teilnahme auf eigenes Risiko stattfindet, denn es wird scharf geschossen."
Nachdem er ihr die Bedingungen erläutert hatte, fragte er: "Nun, was ist Ihre Meinung?"
Shan benötigte nur wenige Sekunden dafür, um lächelnd zu erwidern: "Wenn ich irgendwo in Sicherheit bin, Mr. Capelli, dann ist es auf Poseidons Flaggschiff!"
"Nun gut", meinte er verblüfft, "wenn Sie das so sehen, dann freue ich mich natürlich. Sollten sich diese Auszeichnungen weiter fortsetzen, dann können wir über eine adäquate Stellung in unserer Agentur sprechen, Miss Shan."
Capelli hatte sie verabschiedet und ihr für den Rest des Tages frei gegeben, um sich für die Reise vorzubereiten. Ihr stand eine Woche zur Verfügung: Zwei Tage Hinflug, ein Tag Manöver und der Rest war offen, bis auf den zweitägigen Rückflug.
Im Grunde wusste sie nicht, was sie auf einem Androiden-Raumschiff erwartete. Gab es eine Gästekabine? Aber rechnen konnte sie mit letzterem nicht. Diese Androiden benötigten weder Nahrung noch Wasser, nur einen Servicecheckpoint gab es in jedem Raum. Sie ging davon aus, dass ihr Wasser zur Verfügung gestellt wurde, aber was Nahrung für 3 Tage anging, da wollte sie auf Nummer sicher gehen und besorgte sich hochkonzentrierte, kleine Rationen. Als Kleidung hatte sie sich einen sehr funktionellen Raumanzug besorgt und der Rest würde sich ergeben. Diese Einladung war eine Auszeichnung und sie sah dieser besonderen Erfahrung mit Spannung entgegen.
In dieser Nacht dachte sie wie so oft vor dem Einschlafen an Golem. Wie mochte es ihm wohl gehen? Sie dachte an ihre gemeinsame Nacht und fühlte sich glücklich damit, dass er sich nach ihr genauso sehnte, wie sie sich nach ihm. Und wenn er Geduld hatte, dann konnte sie es auch.

Gegen morgen ging es früh los und um Punkt 6.00 Uhr stiegen sie und der Botschafter Ben Smith, der sie nur knapp begrüßte, in das Shuttle, das beide zum Flaggschiff flog.
Ihr Verhältnis zu Mr. Smith hatte sich nicht wesentlich verändert, dachte sie während des Fluges. Er war ein durchaus gutaussehender Androide, der nie herausließ, was er wirklich dachte. Aber er und Mahal, der atlantische Konsul von Eden, mussten sie empfohlen haben, sonst wäre sie nicht hier.
Der Flug verlief schweigsam und so genoss sie die Aussicht auf den allmählich kleiner werdenden Planeten und da kam es plötzlich mit einer Drehung in Sicht: Die runde Kugelform des Flaggschiffs der Atlanter! Sie las Zahlen auf dem Schiff, aber keine Namen und je näher sie kamen, entstand der Eindruck, dass allein die Zweckmäßigkeit beim Aufbau eine Rolle spielte und sonst nichts.
Dort angekommen stiegen sie aus und wurden von vier Robotern empfangen. Smith wandte sich ihr zu und fragte: "Sie wollen sicher Ihr Gepäck in Ihrer Kabine unterbringen, Miss Smith. Die beiden werden Sie dorthin begleiten und danach zur Zentrale bringen."
Sie nickte und dann war er weg. Den beiden Robotern hinterher gehend verstärkte sich der Eindruck, den sie bereits im Shuttle gehabt hatte: Hier gab es keine Schnörkel oder zur Schau getragene Pracht in den anthrazitfarbenen Gängen, die mäßig beleuchtet wurden. Anscheinend war mehr für die Okulare und Sensoren nicht nötig; der Faktor Energie spielte für die Atlanter eine große Rolle, wie sie von Mahal wusste und mit ihm wurde äußerst effizient umgegangen. Die beiden Roboter, die kein Wort mit ihr sprachen, blieben schließlich stehen und schon öffnete sich in der Wand eine Art Schiebetür. Stumm schienen sie zu warten und so betrat sie den dahinterliegenden Raum. Zu ihrer großen Überraschung befand sich hier eine relativ wohnliche Gästesuite mit einer Liege. Shan stellte ihre Sachen ab und ging durch die Räumlichkeit, die sogar eine Schalldusche besaß. Soweit, so gut.
In die beiden Roboter kam Bewegung, als sie aus der Kabine heraustrat und so ging sie ihnen wieder hinterher, durch endlose Gänge und Aufzüge. Es schien ewig zu dauern, was bei einem so großen Raumschiff kein Wunder war. Aber schließlich betrat sie die Zentrale und sah Smith, der neben Poseidon und einem anderen Androiden stand.
Smith wandte sich ihr sofort zu: "Miss Shan, kommen Sie. Das ist Poseidon, der Herrscher von Atlas und seinem Imperium."
Poseidon war ein großer Androide mit imposanter Gestalt. In eine schlichte, blaue Uniform gekleidet hatte er dennoch eine Präsenz, die den Raum auszufüllen schien und seine dunklen Augen in dem humanoid geprägten, metallisch-silbern glänzenden Gesicht sahen sie undurchdringlich an. Atlas war ein Planet ohne menschliche Bevölkerung - die Bewohner waren ausschließlich Androiden, Roboter und andere künstliche Lebensformen. Und daher gab es auch keine menschliche Haut oder Haare - wo die Kleidung den Körper nicht mehr verdeckte, sah man auf eine metallische Außenhaut.
Shan erwiderte seinen Blick schweigend. Eine besondere Freude oder Höflichkeit erschien nicht auf seinem Gesicht und so wurde ihr schnell klar, dass er der Anwesenheit einer irdischen Presse aus politisch-taktischen Gründen zugestimmt hatte. Und wenn es schon sein musste, so vermutete sie, dann nur nach seinen Vorgaben und das war wohl der Grund, warum sie nach der Empfehlung von Mahal ausgesucht worden war.
Sie hatte viel über ihn gehört und ihn auf Übertragungen gesehen - aber so vor ihm zu stehend war sie unwillkürlich beeindruckt. Er war sich erkennbar seiner Macht bewusst und fragte sich jetzt wohl, was er mit ihr hier überhaupt anfangen sollte. Also beschloss sie, in die Offensive zu gehen.
"Es ist mir eine Ehre, beim Manöver mit dabei zu sein, Poseidon, wenn ich Sie so nennen darf. Meine Absicht ist es, Ihr Imperium kennenzulernen, um darüber zu berichten. Viele Menschen sehen nur die Fremdartigkeit der atlantischen Bewohner, aber nicht, wer sie eigentlich sind."
Shan lächelte ihn an, während er sie nur weiter anstarrte und fuhr unbeirrt fort: "Also, wo werde ich mich hier aufhalten?"
Ihr Blick schweifte durch die Zentrale. Hier befanden sich riesige Bildschirme und einige Androiden; wie zuvor wies die Einrichtung eine zweckgebundene Nüchternheit auf.
Ben Smith sagte schließlich: "Poseidon heißt sie willkommen, Miss Shan. Und das ist Hades, der Commander dieses Raumschiffs."
Hades nickte ihr zu und sah ebenso unnahbar aus wie Poseidon.
"Kommen Sie, wir werden uns hier aufhalten."
Smith ging mit ihr zu zwei Sitzen, die sich hinter der Kommandoriege etwas höher befanden, sodass sie eine gute Sicht auf die Bildschirme hatten.
Also machte sie es sich dort bequem, entschlossen, sich von einem non-kommunikativen Verhalten nicht beeindrucken zu lassen.
Der Sitz für sie und Smith war anders konzipiert als die Sitze der Androiden und augenscheinlich mehr darauf angelegt, der Verletzlichkeit eines menschlichen Organismus Rechnung zu tragen. Sie saß in einer Art Schale, deren Material sich sofort ihrer Körperform anpasste und eine Feuchtigkeits- und Temperaturregelung besaß. Auf der rechten Armlehne sah sie mehrere Bedientasten und Smith erklärte daraufhin, ihren fragenden Blick bemerkend, dass eine Taste dafür gedacht war, damit sich im Falle schneller Bewegungen und Erschütterungen des Schiffes sofort Sicherungsgurte um sie legten, um sie auf ihrem Platz zu halten.
Eine andere betätigte er selbst und sie nahm erstaunt wahr, wie sich die linke Lehne öffnete und ein Wasserbehälter zum Vorschein kam.
"Falls Sie Durst haben sollten", lächelte er ihr zu angesichts ihres Erstaunens. "Und falls Sie ein anderes, bestimmtes Bedürfnis verspüren sollten", fuhr er fort, "dann drücken Sie hier und es wird Sie jemand in einen naheliegenden Raum führen, der speziell für Sie hergerichtet wurde. Was Nahrung angeht: In Ihrer Kabine befinden sich, in der Wand eingelassen, Essen und Getränke."
Auf der linken Seite bemerkte Shan weiter hinten liegend zwei Tasten, die nur im Notfall betätigt wurden, wie er ihr erklärte. Beeindruckt erfuhr sie, dass sich in dem Fall eine transparente, hitze- und erschütterungsfeste Kapsel um sie herum aufbauen würde, in der sie längere Zeit selbst dann noch atembare Luft erhielt, wenn die Zentrale schon in Schutt und Asche lag. Die zweite Taste diente der Kommunikation, sodass sie im Ernstfall Hilfe anfordern konnte. Dabei würde sich ein manuell bedienbares Display auf der Innenseite der Kapsel aufbauen.
Mittlerweile war das riesige Raumschiff auf Warp-Flug gegangen und Shan schloss die Augen und entspannte sich in ihrem Sitz, um die ersten Eindrücke zu verarbeiten. Es drängte sie nichts und sie hatte heute und morgen Zeit, sich mit allem zu beschäftigen, was sie sah.

Ihre Augen öffnend kam ihr auf einmal zu Bewusstsein, dass in der Zentrale eine ungewöhnliche Stille herrschte. Anfangs hatte es noch Geräusche gegeben, erinnerte sie sich; alle hatten sich bewegt und sie hatte mit Smith gesprochen sowie das leise Summen der Antriebe wahrgenommen, als sie auf Warp gegangen waren. Das war ungewöhnlich, denn in den irdischen Raumschiffen herrschte immer eine Geschäftigkeit, selbst in den ruhigsten Momenten. Irgendjemand führte Kontrollen durch, stand an einem Pult, kam herein oder ging hinaus, über den Kommunikator wurden Meldungen gemacht. Aber hier? Nichts - es herrschte eine Grabesstille.
Es mochten jetzt zwei Stunden vergangen sein, stellte sie fest und beim genaueren Hinsehen bemerkte sie, dass alle Androiden in ihren Sitzen Platz genommen hatten und sich nicht mehr bewegten. Smith einen schnellen Blick zuwerfend sah sie, dass er ebenfalls mit geschlossenen Augen in der Schale saß. Sie wusste von Golem, dass er in einen Ruhemodus ging, wenn eine Aktivität nicht erforderlich war und nahm an, dass genau das jetzt der Fall war. Alle Androiden in der Zentrale befanden sich anscheinend in ihrem Ruhemodus!
Shan fühlte sich plötzlich, als sei sie allein auf dem riesigen, atlantischen Raumschiff und aufgeregt überließ sie sich mit allen Sinnen dieser neuen Erfahrung. Sie nahm an, dass das Schiff über eine Bord-KI vollautomatisch gesteuert und überwacht wurde. Also waren alle sozusagen "schlafen" gegangen, bis das Ziel erreicht war. Denn Essen, Wasser, ein bisschen Bewegung oder ein Toilettengang war für sie nicht nötig. Im Grunde also alles absolut effizient und auf das wirklich Notwendige reduziert, ging ihr durch den Sinn. Und vermutlich würden alle sofort wieder präsent sein, sollte etwas Unvorhergesehenes eintreten.
Eine Weile sah sie sich die Zentrale noch genauer an, aber im Prinzip gab es nicht viel, was ihr Interesse weckte. Da waren die riesigen, zurzeit ausgeschalteten, Bildschirme - schließlich gab es im Warp-Raum nicht viel zu sehen - und einige kleinere Hologramme, auf denen unendliche Zahlenreihen liefen. Die Stille begann auch sie einzulullen und da der Tag früh begonnen hatte war sie ebenfalls bald eingeschlafen.

Sie schien im Schlaf wohl eine unbewusste Bewegung gemacht zu haben, denn als sie die Augen aufschlug und einen Blick neben sich warf, sah sie Smiths Blick auf sich gerichtet.
"Nun, Miss Shan", lächelte er freundlich, "wie ich sehe, haben Sie sich bereits akklimatisiert."
Gähnend räkelte sie sich und setzte sich in eine aufrechte Haltung, um auf der linken Seite den Wasserbehälter erscheinen zu lassen. Diese Schale war wirklich äußerst bequem, vermerkte sie zufrieden, denn sie fühlte sich wirklich erfrischt und hatte wohl tatsächlich an die sechs Stunden ungestört geschlafen.
"Ich hoffe, ich bin nicht verantwortlich für Ihr Erwachen?", fragte sie höflich, während sie das Wasser zu sich nahm.
"Scheuen Sie sich nicht, mich zu wecken, wenn Sie Fragen haben, Miss Shan. Uns ist klar, dass diese Erfahrung für Sie ungewohnt sein muss."
Er bestätigte ihre Vermutung, dass alle anderen erst am Zielort wieder aktiv werden würden. Sie sprachen eine Zeitlang über die diese ungewöhnlichen Sitzschalen, die ganz offensichtlich für einen verletzlichen Organismus konzipiert worden waren und Shan fragte ihn, ob sie speziell für sie beide hergestellt worden waren.
"Nein", gab Smith zur Antwort. "Soweit ich das weiß, ist diese Entwicklung schon auf Atlas vorhanden gewesen und in diesem Fall speziell für uns kurzfristig installiert worden. Das betrifft auch Ihre Kabine", fügte er bedeutungsvoll an. "Wenn Sie sich Zeit nehmen, werden Sie einiges darin entdecken."
"Mr. Smith, darf ich Ihnen einige technische Fragen stellen?"
"Nur zu, fragen Sie."
Sie erfuhr, dass die Kommunikation untereinander und mit der Bord-KI wortlos stattfand. Auf einem atlantischen Schiff wurde in der Regel nicht geredet, weil es nicht nötig war, erklärte er ihr. Auf die neugierige Frage hin, ob er selbst auch in das Netzwerk eingebunden war, bejahte er.
"Selbstverständlich", nickte er. "Ich kann jederzeit mit der Bord-KI kommunizieren."
Interessiert musterte sie ihn. Er hatte nur die Bord-KI genannt, nicht aber Poseidon oder Hades. Also konnten sie mit ihm kommunizieren, dennoch wurde er trotz seiner Position als Botschafter von Atlas auf einer gewissen Distanz gehalten. Ob ihm das so gefiel?
Smith lächelte plötzlich und sagte, als hätte er ihr ihre Gedanken angesehen: "Die Atlanter haben eine klare Kommandostruktur, Miss Shan. Sie müssen bedenken: Eine Maschinenwelt, die seit Jahrtausenden alleine existiert hat, kennt keine Demokratie."
Das war ein Satz, bei dem sie sofort ansprang und in ihrem Element war. Und so ergab sich eine spannende Diskussion über die Vor- und Nachteile von Demokratie und Autokratie.
"Sie kennen die Bedenken mancher Bürger der USOP, Mr. Smith", sagte sie schließlich.
"Besteht nicht doch das Risiko, dass wir ab Mitte nächsten Jahres von einer Kultur übernommen werden, die unser Demokratieverständnis nicht teilt?"
Smith musterte sie und dachte bei sich, dass diese Reporterin tatsächlich eine gute Wahl gewesen war. Er kannte Shan aus der Zeit seiner Präsidentschaft eher als entschiedene Gegnerin einer liberalen Androidenpolitik und war zunächst abgeneigt gewesen. Mahal hatte sich jedoch sehr für sie ausgesprochen und er musste ihm recht geben - sie war tatsächlich interessiert und er konnte keine Antihaltung gegenüber Androiden mehr erkennen. Im Gegenteil zeigte sie eine erstaunliche Offenheit und ließ sich auch durch das ungastliche Verhalten Poseidons nicht abschrecken.
Nun, sie würde es ihm sicher nicht auf die Nase binden, resümierte er, warum sich ihre Haltung so verändert hatte, genauso wenig wie er seine persönlichen Gedanken zu offenbaren gedachte.
"Die Verbindung zwischen beiden Völkern werden die Emotionen sein, Miss Shan. Sie wissen, dass alle höher gestellten atlantischen Androiden das Emotionsprogramm der USOP integriert haben und damit werden wir uns im Laufe der Zeit mehr und mehr aufeinander zu bewegen."
Ihren gespannten Blick bemerkend erläuterte er: "Sie haben sich mit Mahal sofort verstanden. Haben Sie sich einmal gefragt, warum? Dank dieses Emotionsprogramms bilden sich aus jedem Androiden nach und nach Persönlichkeiten, die selbst entscheiden, was sie erleben, wer sie sein wollen und in welche Richtung sie sich entwickeln wollen. Das heißt, früher oder später muss sich eine strenge Autokratie in eine beginnende Demokratie entwickeln, ansonsten sind Unruhen vorprogrammiert."
Plötzlich in sich gekehrt saß Shan still da. Sie wusste, wie wahr Smiths Worte waren, denn ihre Begegnung mit Golem hatte sich ihr förmlich aufgedrängt. Im Laufe einer einzigen Nacht war so viel zwischen ihnen geschehen: die wunderbaren gemeinsamen Gespräche, seine Neugier und die starke Feinfühligkeit, mit der er sich im Verlauf immer mehr auf sie eingestellt hatte. Golem hatte sich für dieses Erleben mit ihr entschieden und bedingungslos darauf eingelassen ...
Sich von diesen Gedanken an ihn losreißend nahm sie zum ersten Mal eine unverhüllte Neugier in Smiths Blick wahr und musste lächeln. Er kannte sie sicherlich noch von damals, als sie eine erklärte Gegnerin der Gleichstellung von Androiden und Menschen gewesen war. Sicherlich fragte er sich jetzt, wieso sie ihre Meinung geändert hatte.
Während sie sich ansahen fühlte sie, wie sich ein wortloses Verstehen und der vorsichtige Beginn einer gegenseitigen Sympathie zwischen ihnen wie eine unsichtbare Welle ausbreiteten.
"Sie setzen mich in Erstaunen, Miss Shan", sagte Smith, ihr Lächeln erwidernd, bevor seine Miene wieder unverbindlich wurde.
Shan fragte ihn dann nach den Programmierungen, die das Emotionsmodul zur Sicherheit enthalten musste. Denn Emotionen wie eine übersteigerte Aggression oder Wut konnten auch gefährdend für Menschen und die Ziele der USOP werden. Wie war gesichert, dass das nicht geschah?
Anerkennend nickte Smith: "Das ist eine gute Frage, Miss Shan. Tatsächlich gibt es eine Absicherung im Modul, die ich Ihnen allerdings nicht näher erläutern kann. Aggressionen, Zorn und Wut werden dadurch gedämpft erlebt und führen daher zu keiner ausufernden, negativen Handlung."
Sie hatten doch tatsächlich zwei Stunden zusammengesessen und diskutiert - Shan entschied, dass es für heute genug war und verabschiedete sich. Kurz darauf erschien auf Anforderung von Smith an die Bord-KI ein Androide, um sie in ihre Kabine zu begleiten.
"Er wird vor Ihrer Kabine warten und Sie wieder zurückbegleiten, sobald Sie diese verlassen", sagte er und sah sie abwartend an. Shan bedankte sich aufrichtig für die anregende Diskussion und wünschte ihm eine erholsame Ruhezeit. Dann drehte sie sich um und wanderte erneut durch die endlosen, halbdunklen und leblosen Gänge eines atlantischen Raumschiffs.

In der Kabine angekommen sah sie sich neugierig um, denn allmählich war es Zeit, etwas zu sich zu nehmen. Smith hatte davon geredet, dass etwas in der Wand eingelassen war. Nachdenklich die leere Wand ihrer Kabine betrachtend sah sie mehrere Symbole darauf, die aussahen, als wären sie zur Verschönerung des kargen Raumes angebracht. Aber vielleicht hatten sie eine andere Bedeutung? Sie ging auf ein Symbol zu und berührte es mit der Hand - und sofort erschien eine Öffnung, in der sich Trinkbecher und so etwas wie ein Auslass befanden, unter den sie den Becher stellte - und siehe da - eine helle Flüssigkeit floss sofort heraus, die sie als Wasser einordnete. Als sie ihre Hand herauszog, schloss sich die Öffnung automatisch.
Das nächste Symbol hielt verschiedene, verpackte Nahrungsrationen für sie bereit. Das war also die Bordküche. Aber es gab noch zwei weitere Darstellungen.
Hinter dem nächsten Symbol versteckte sich eine Karaffe mit einem gelben Inhalt. Erstaunt nahm sie diese heraus und schnupperte: Es roch blumig-vanillig, und ein bisschen in die Hand gießend, fühlte es sich ölig an. War das etwa ein Öl zur Körperpflege? Sie beschloss, es sich später nach der Schalldusche aufzutragen und die Wirkung zu testen. Das war wirklich das letzte, was sie hier vorzufinden erwartet hätte!
Hinter dem letzten Symbol befand sich nur eine leere Öffnung - vermutlich sollte sie als Ablage dienen.
Das Bett war im Grunde eine Liege, die aus dem gleichen Material zu bestehen schien, die sie schon in der Schale wahrgenommen hatte. Es schmiegte sich passgenau an den Körper an und sie entspannte sich sofort, wie auf Wolken fühlend.
Smith hatte erzählt, dass der Sitz und dieses Wohnmodul bereits auf Atlas vorhanden gewesen waren ... was ein großes Fragezeichen hinterließ. Waren beide für die sogenannten Schöpfer gedacht, die ihnen so unendlich überlegen waren in ihren Fähigkeiten und Technologien, aber dennoch einen sterblichen und verletzbaren Organismus haben mussten? Außerdem schienen sie eine ähnliche Größe wie Menschen zu haben...

Nach einem erneuten Schlaf, der sie erfrischt aufwachen ließ testete Shan die Schalldusche und trug das Öl sorgfältig auf. Sicher - die Wirkung war unbekannt, aber sie wollte sich auf diese Erfahrung mit Haut und Haren einlassen, entschied sie.
Heute Abend sollten sie bereits in der Milchstraße ankommen, und, nachdem sie ihre Ration gegessen hatte, machte sie sich wieder auf den Weg in die Zentrale.
Der Androide stand tatsächlich noch dort, wo sie ihn verlassen hatte.
Sie strahlte ihn an, ließ ein fröhliches "Guten Morgen, mein Freund!" vernehmen und schon wandte er sich um und sie folgte ihm wieder. Er sprach nicht mit ihr - vermutlich konnte er es nicht - und sie konnte nicht wortlos kommunizieren.
In der Zentrale angekommen, war alles so ruhig wie zuvor. Nach wie vor liefen auf den Hologrammen unendliche Zahlenreihen. Smith lag, wie alle anderen auch, im Ruhemodus ruhig in seiner Schale und so setzte sie sich neben ihn.

Wieder in dieser Schale angenehm versinkend ließ sie ihre Gedanken fließen. Sie konnte davon ausgehen, dass es den Schöpfern angepasst war. Was lag näher, als sich vorzustellen, dass diese Schöpfer auch menschenähnlich waren. Und dann dieses Körperöl; sie hatten also auch Körperpflege betrieben und legten Wert auf einen angenehmen Duft; vermutlich war das Habitat für ein weibliches Wesen gedacht. Das Öl fühlte sich angenehm und energetisierend auf ihrer Haut an.
Nach einigen Stunden ging sie noch einmal zurück zur Kabine, um wenigsten einige Schritte zu laufen, noch etwas zu essen und im Raum ein paar gymnastische Übungen zu machen. Androiden hatten das alles nicht nötig, dachte sie - aber sie konnte nicht den ganzen Tag sitzen. Also kehrte sie erst zur Zentrale zurück, als es nur noch eine halbe Stunde bis zur Ankunftszeit war.
Sie legte Smith sanft die Hand auf den Arm und sah ihn erwartungsvoll an.
Eine Sekunde später war er bereits präsent.
"Ah, Miss Shan. Haben Sie gut geruht?"
"Sehr gut", erwiderte Shan guter Laune, "es war äußerst erfrischend. Wir sollten in einer halben Stunde Neptun erreichen."